Im Jahr 1943, mitten im Strudel des Zweiten Weltkriegs, hielt Lion Feuchtwanger auf dem Schriftstellerkongress in Los Angeles eine wegweisende Rede mit dem Titel „Die Arbeitsprobleme des Schriftstellers im Exil“. Er behandelte darin die tiefgreifenden inneren Zerrissenheiten bis zu den praktischen Schwierigkeiten des täglichen Lebens fern der Heimat. Feuchtwanger, der seit 1933, dem Jahr seiner Verbannung durch das Nazi-Regime, im Exil lebte, teilte seine persönlichen Erfahrungen und Einsichten. Er verstarb 1958, ohne je wieder deutschen Boden betreten zu haben. Heute, in einer Zeit, in der politische Unruhen und Konflikte Menschen weltweit zur Flucht zwingen, gewinnt das Thema Exil erneut an Brisanz.
In einem Gespräch mit dem irakisch-kurdischen Schriftsteller Bachtyar Ali, der seit Mitte der 1990er Jahre im deutschen Exil lebt, sollen vor der Folie der Texte Lion Feuchtwangers, die komplexen Dimensionen des Schreibens und Lebens im Exil erforscht und ein tieferes Verständnis für die Herausforderungen, mit denen sich exilierte Schriftsteller*innen konfrontiert sehen, gewonnen werden: Wie prägt das Exil die künstlerische Identität und das Schaffen eines Autors? Welche Rolle spielt Kunst bei der Bewältigung von Exilerfahrungen und der Förderung interkulturellen Verständnisses? Wie können exilierte Schriftsteller ihre Stimmen einsetzen, um auf politische Missstände hinzuweisen und Veränderungen zu bewirken? Welche Perspektiven und Hoffnungen können die Erfahrungen und Werke von Feuchtwanger und Ali heutigen Exilanten bieten?
Unsere Gäste:
Bachtyar Ali
- Bachtyar Ali, geboren am 8. August 1966 in Sulaimaniya, Kurdistan, ist ein irakischer Schriftsteller und Poet, dessen Leben und Werk tiefgreifend von den Erfahrungen des Exils und den Konflikten in seiner Heimat geprägt sind. Durch sein Engagement in den Studentenprotesten gegen die Diktatur Saddam Husseins im Jahr 1983, fand Ali seinen Weg zur Poesie, was ihn dazu bewog, sein Geologiestudium aufzugeben. Sein erstes literarisches Werk, „Gunah w Karnaval“ (Sünde und Karneval), markierte 1992 den Beginn einer beeindruckenden Karriere, die ihn zum bekanntesten zeitgenössischen Schriftsteller des autonomen irakischen Kurdistans machte. Seine Werke, darunter Romane, Gedichte und Essays, wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt und brachten ihm internationale Anerkennung sowie mehrere Preise ein, unter anderem den Nelly-Sachs-Preis 2017 und den Hilde-Domin-Preis 2023.
Lebend im deutschen Exil seit Mitte der 1990er Jahre, nutzt Ali die Distanz zu seinem Herkunftsland als kreative Freiheit, um sich von der Selbstzensur zu befreien, die in orientalischen Gesellschaften präsent ist. Diese Befreiung ermöglicht es ihm, kritische und tiefgründige Werke zu schaffen, die die Traumata, das Leid sowie die Schönheit und Komplexität Kurdistans und des Lebens im Exil erkunden. Seine Schriften dienen als Brücke zwischen den Kulturen, wobei er besonderen Wert auf das Schreiben in seiner Muttersprache Sorani legt, um eine direkte Verbindung zu seinem Publikum aufzubauen.
Bachtyar Ali betrachtet das Exil nicht nur als geografische Distanz, sondern als eine Erfahrung, die in der digitalisierten Welt eine neue Bedeutung erhält. Seine Arbeit im Exil ist geprägt von der Auseinandersetzung mit Identität, Heimat und Freiheit, Themen, die in seinen bildstarken Märchen und politischen Parabeln zum Ausdruck kommen. Durch seine literarische Stimme setzt Ali Zeichen der Humanität und verwandelt die Geschichten von Gewalt und Leid in Werke voller Magie und Hoffnung. Bachtyar Ali lebt und arbeitet in Deutschland, wo seine Bücher vom Züricher Unionsverlag auf Deutsch publiziert werden, und bleibt eine wichtige Stimme in der Literatur des Exils.
Herausgeberinnen des Bandes „Bin ich deutscher oder jüdischer Schriftsteller?“
- Nele Holdack gab unter anderem Werke von Brigitte Reimann und Tillie Olsen, von Hans Fallada, Victor Klemperer und Mark Twain heraus.
- Marje Schuetze-Coburn, Bibliothekarin der Feuchtwanger Memorial Library an der University of Southern California.
- Michaela Ullmann, lange Jahre Bibliothekarin der Exile Studies Libraries, zahlreiche Publikationen zu den Themen Exil und Exilsammlungen.
Texte gelesen von Jonas Baeck
- Jonas Baeck, geboren 1981 in Köln, absolvierte sein Schauspielstudium an der renommierten Folkwang Universität der Künste in Bochum. Seine berufliche Laufbahn umfasst Engagements an verschiedenen deutschen Bühnen, einschließlich des Stadttheaters in Bielefeld, des Nationaltheaters Mannheim und des Schauspielhauses in Bochum. Seit 2018 ist er Ensemblemitglied des Kölner Künstler*innen Kollektivs „Spiegelberg“, das er mitbegründete. Er wirkte in beliebten Serien wie „Club der roten Bänder“ und „Lu von Loser“ mit und spielte in Kinoproduktionen, darunter „Kleinstatthelden“, „Nymphomaniac“ und „Der Pfad“. Darüber hinaus hat er sich als Hörbuchsprecher etabliert und spricht regelmäßig Beiträge für den WDR, ARTE und den Deutschlandfunk. Science-Fiction-Fans kennen ihn zudem als eine der Stimmen der wöchentlich erscheinenden Perry Rhodan-Hörbücher. 2019 veröffentlichte er sein erstes Buch „Wenn die Sonne rauskommt, fahr ich ohne Geld: Mit dem Roller nach Dublin“ bei Kiepenheuer & Witsch, in dem er von einer Reise ohne Geld durch Europa berichtet. 2020 entwickelte er daraus zusammen mit dem WDR das zweiteilige Hörspiel „17 Days“.
Moderation Shelly Kupferberg
- Shelly Kupferberg ist freie Journalistin und Moderatorin. Neben zahlreichen Beiträgen für die ARD moderiert sie seit fast 30 Jahren verschiedene Kultur-, Gesellschafts- und Buchmagazine und arbeitet als freie Redakteurin für Deutschlandradio Kultur. Geboren in Tel Aviv, wächst Shelly Kupferberg in West-Berlin auf. An der FU Berlin studiert sie Publizistik und Theaterwissenschaften, später kommen noch Musik- und Politikwissenschaften hinzu. Neben ihren regelmäßigen Live-Radiosendungen moderiert sie zahlreiche Lesungen und Tagungen, Filmvorführungen, sowie hochkarätige Veranstaltungen für unterschiedliche Stiftungen, Ministerien, Kultureinrichtungen und Festivals. Außerdem moderiert sie ehrenamtlich für Terre des Femmes. Ihre thematischen Schwerpunkte sind neben der Kultur auch Themen, wie Bildung, Kulturvermittlung, Zivilgesellschaft, Demokratie und Partizipation, Diskriminierungs-, sowie Migrationsthemen.
Eine Veranstaltungskooperation von KunstSalon Köln e. V. und Villa Aurora & Thomas Mann House e. V.
Mit freundlicher Unterstützung des HOPPER Hotel St. Josef